Frömmigkeit im Weinberg
Frömmigkeit im Weinberg
Wenn der Weinberg im kalten Blitzlicht erfriert, um in Wind, Donner und Dunkelheit unterzugehen, senden manche Winzer:innen ihr stilles Gebet gen Himmel. In der Vergangenheit waren derartige Wettererscheinungen lebensbedrohlich. Die Fürbitte wurde systematisch praktiziert, denn die Menschen erklärten ihre Naturbeobachtungen anhand religiöser und abergläubischer Spekulation. Durch die Windrichtung, den Stand der Planeten und mit dem Tag im Kalenderjahr erwarteten sie eine ganz reale Einflussnahme auf ihren Wein. Um größtmögliche Hilfe aus dem Raum des Göttlichen zu empfangen, entwickelten sie Verehrungsformeln und Heiligenhierarchien. [Anm. 1]
Neben Gott und der Jungfrau Maria - häufig in Form der Traubenmadonna - wurden gezielt die Heiligen angerufen, die sich als Schutzpatrone vor ungünstigem Wetter bewährt hatten. Hierbei münzte das Christentum Aufgaben, die zuvor Naturgottheiten zugeschrieben wurden, auf eigene Vorkämpfer um. [Anm. 2] So wurden dem Heiligen Donatus (Namenstag 8. August) die Attribute des nordischen Gottes Donar/Thor zugeschrieben: Er sollte vor Gewitter schützen. [Anm. 3] Neben St. Donatus, St. Laurentius und Dutzenden anderen Wetterpatronen galt das Gebet der Winzer:innen vor allem St. Urban: Ein Schützer, der auf mindestens zwei Heilige desselben Namens zurückgeht. Diese sollen laut Legende in einem Weinberg Zuflucht gefunden haben, wurden jedoch aufgespürt. Während ihres anschließenden Martyriums fiel Wein vom Himmel. Seither bewahrt die Anrufung St. Urbans den Weinberg vor Früh- und Spätfrost, starken Regenfällen und Ungezieferfraß. [Anm. 4]
Wie in Waldrach an der Ruwer sind dem Schutzpatron vielerorts Bildstöcke und Kapellen gewidmet. [Anm. 5] Zu St. Urbans Attributen zählen meist Trauben und eine aufgeschlagene Bibel. An ihn gerichtete Bittschriften wurden in der Regel im Weinberg vergraben. St. Urbans Abbild und Anrufung ziert häufig Fassböden, Rebsorten und Weinflure tragen seinen Namen. In früheren Jahrhunderten wurde die Statue des Heiligen wie eine leibhaftige Person gegrüßt. Zum Segnen der Fässer trug man die Heiligenfigur in die Weinkeller, in Wirtshäusern prostete man ihr zu. [Anm. 6] Mit dem Namenstag des heiligen St. Urban wurden heidnische Frühjahrs- und Fruchtbarkeitsriten in den christlichen Kalender aufgenommen. Alle Frühjahrsarbeiten im Weinberg sollten bis zu diesem Datum abgeschlossen sein. Bis heute wird mancherorts angenommen, dass das Wetter an St. Urban und anderen Namenstagen, wie dem der Eisheiligen oder am Siebenschläfertag, Auskunft über das zukünftige Wetter sowie über den Ausgang der Ernte gibt.
Brachte der 25. Mai unerwünschten Regen, wurden Heiligenbilder von St. Urban gestraft. Sie wurden mit Wasser statt mit Wein übergossen oder direkt in den Fluss getaucht, damit sie sinnbildlich wie die Ernte ertrinken. Begleitet wurde dieses Ritual von folgendem Spruch:
„Sankt Urban lieber Herre,
mach die Trauben schwere.
Bist du aber nass,
bringt es nichts ins Fass,
musst du selbst ins Nass“ [Anm. 7]
Oder, wie die Moselwinzer:innen reimten
"Sankt Urban nass – scheißt ins Fass" [Anm. 8]
Weiterführende Informationen
Urheberschaft
Autor: Maximilian Bieler
Redaktion: Simeon Guthier
Stand: 22.12.2021