Die SchUM-Städte und der Wein
Die Bedeutung des Weins im Judentum
Wein und Judentum sind eng miteinander verbunden. Bereits in den ältesten jüdischen Legenden und Erzählungen tauchen häufig Hinweise zum Wein und dessen Anbau auf. Nach wie vor ist der Wein ein wichtiger Bestandteil der höchsten jüdischen Feiertage wie Pessach oder Purim. [Anm. 1]
Die Weinbauregionen Rheinhessen und die Vorderpfalz weisen eine reiche jüdische Geschichte auf. Bereits im 10. Jahrhundert bildete sich eine erste jüdische Gemeinde in Mainz; Speyer und Worms folgten nur wenige Jahrzehnte später. [Anm. 2] Diese drei Gemeinden bildeten zusammen ab dem 12. Jahrhundert die sogenannten SchUM-Städte (שו״מ); eine Abkürzung der Anfangsbuchstaben ihrer hebräischen Namen Schpira, Warmaisa und Magenza. [Anm. 3] Als Gemeindeverbund prägten sie das aschkenasische Judentum entscheidend; ihre Lehre in religiösen und rechtlichen Fragen genoss in ganz Mitteleuropa hohes Ansehen. Diese Blütezeit endete durch Verleumdungen und Vertreibungen im Spätmittelalter. Die Erinnerung an SchUM nimmt aber auch heute noch eine herausragende Stellung in Kultur und Selbstverständnis der Jüd:innen in Europa und der ganzen Welt ein. [Anm. 4]
Damit ein Wein als koscher gelten kann, muss er vielfältige Vorschriften erfüllen, die jedoch je nach Gemeinde unterschiedlich streng ausgelegt wurden. Demnach dürfen Nicht-Jüd:innen grundsätzlich nicht an dessen Herstellung beteiligt sein oder anderweitig in Kontakt mit dem Wein kommen. Je nach Lehrmeinung genügte allerdings bereits ein Blick von Nicht-Jüd:innen auf den Wein, um diesen nicht mehr für rituelle Zwecke verwenden zu können. [Anm. 5] Die frühesten Hinweise auf jüdischen Weinbau in den SchUM-Städten finden sich bereits für das 11. Jahrhundert in Speyer. [Anm. 6] Besondere Bedeutung erlangte allerdings der koschere Wein aus Worms. Eigentlich war es in jüdischen Gemeinden üblich, den Wein selbst herzustellen und nicht aus anderen Gemeinden einzukaufen, um eine Berührung durch Nicht-Juden ausschließen zu können. [Anm. 7] Der Wein aus Worms hingegen wurde selbst in Gemeinden anerkannt, die die Regeln für koscheren Wein besonders streng auslegten. [Anm. 8] Dadurch hatte die Wormser Gemeinde ein Monopol auf den Handel mit koscherem Wein inne. [Anm. 9] Auch nachdem die herausragende Bedeutung der SchUM-Städte im 15. Jahrhundert durch die Vertreibungen aus den Städten ein jähes Ende gefunden hatte, bewahrte sich der jüdische Weinbau in umliegenden Dörfern über die folgenden Jahrhunderte. [Anm. 10]
Im 19. Jahrhundert begann die Blütezeit des jüdischen Weinhandels in den SchUM-Städten. [Anm. 11] Dabei waren Jüd:innen in Mainz schon lange im Weinhandel aktiv: Seit dem 11. Jahrhundert war ihnen der Handel mit nicht-koscherem Wein gestattet. [Anm. 12] Daher beteiligten sich schon früh viele Jüd:innen am Weinhandel, indem sie Wein von den SchUM-Städten aus zum Markt nach Köln transportierten. [Anm. 13] Im Mainz des Mittelalters bauten Jüd:innen bereits Wein zu rein kommerziellen Zwecken an, der den Ansprüchen an koscheren Wein nicht genügen musste. [Anm. 14] Auch im Verlauf der folgenden Jahrhunderte waren Jüd:innen am Mainzer Weinhandel beteiligt. [Anm. 15] Mainz stieg im 19. Jahrhundert zu einer internationalen Metropole des Weinhandels auf. Ihren Höhepunkt erreichte die Branche mit mehr als 250 Weinhandlungen im Jahr 1880. [Anm. 16] Jüdische Weinhändler:innen spielten dabei eine wichtige Rolle – statistische Untersuchungen stehen noch aus.
Einen Rückschlag erhielt diese Handelstätigkeit durch den Ersten Weltkrieg. Das internationale Handelsnetz der Mainzer Weinhändler:innen brach zusammen; viele Söhne wurden als Soldaten eingezogen. Die Branche erholte sich nach dem Krieg teilweise. [Anm. 17] Während der Weimarer Republik überstiegen die Umsätze sogar bald das Vorkriegsniveau. Mit der nationalsozialistischen Diktatur endete der jüdische Weinhandel. Jüdische Winzer:innen und Weinhändler:innen wurden bis 1938 in den Ruin getrieben oder „arisiert“ (enteignet). [Anm. 18] Einige konnten rechtzeitig ins Ausland fliehen; viele wurden ermordet. Zwar gründeten sich einige Betriebe nach dem Krieg neu, dennoch errang der Weinhandel in Mainz nie wieder seine alte Bedeutung. [Anm. 19]
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Urheberschaft
Autor: Christian Belzer
Redaktion: Simeon Guthier
Stand: 22.12.2021