Das steinerne Fass der Festung Rheinfels
Wein und Garnison
Auf den Festungen der Frühen Neuzeit waren Weinzuteilungen als sogenannter Komisswein [Anm. 1] ein alltägliches Nahrungsmittel der Soldaten. [Anm. 2] So auch auf der Burg Rheinfels, deren mächtige Ruine noch heute über der Stadt Sankt Goar im malerischen Mittelrheintal thront. Für sie ist überliefert, dass der Besatzung von 15 Personen im Jahr 1523 insgesamt 11,5 Fuder Wein zustanden, was etwa 2 Litern pro Person und Tag entspricht. [Anm. 3] Diese großzügige Versorgung der zahlenmäßig kleinen Besatzung war problemlos möglich, da die Ämter Rheinfels und Reichenberg auf der anderen Rheinseite große Mengen Wein produzierten. Die Erträge überstiegen den lokalen Bedarf, weshalb der Wein schon seit dem Mittelalter zumeist auf dem Kölner Markt verkauft wurde. [Anm. 4]
Zu dieser Zeit bestimmten nicht nur militärische Überlegungen den Charakter der Festung: Zwar ließ Philipp der Großmütige die Burg Rheinfels in den Jahren 1521 bis 1523 zur stärksten Festung am Mittelrhein ausbauen. [Anm. 5] Schon während der Herrschaft des Landgrafen von Hessen erfüllte sie aber auch eine repräsentative Funktion. Diese verstärkte sich nochmals deutlich, als Philipp II. die Rheinfels im Jahr 1567 als Residenz in der neuen Landgrafschaft Hessen-Rheinfels bezog. [Anm. 6] In den folgenden Jahren ließ der Landgraf die bisherige Festung zu einem beeindruckenden Renaissanceschloss umbauen. [Anm. 7]
Diese Situation veränderte sich jedoch nach der Herrschaft des Landgrafen Philipps II. entscheidend. Mit seinem Tod erlosch die hessische Nebenlinie Hessen-Rheinfels, sodass seine Besitzungen zum größten Teil an seinen Bruder Wilhelm IV. von Hessen-Kassel fielen. [Anm. 8] Damit büßte die Rheinfels ihren Charakter als Residenz des Landgrafen ein, sodass nun wieder ihre militärische Funktion immer stärker die weitere Gestaltung der Anlage bestimmte. [Anm. 9] Strategisch enorm bedeutsam durch ihre Lage am Rhein, stieg auch ihr Bedarf an Garnisonstruppen. [Anm. 10] Selbst in Friedenszeiten waren nun bis zu 300 Soldaten auf der Festung stationiert [Anm. 11] , während der Belagerung im Jahr 1626 sogar mehr als 2000. [Anm. 12]
Um auch eine solch große Zahl an Soldaten mit Wein versorgen zu können [Anm. 13] , ließen sich Landgraf Wilhelm IV. und sein Oberamtmann Burkhard von Kalenberg eine besondere Lösung einfallen: Ein einziger Behälter, das sogenannte „steinerne Fass“, sollte die gesamten Weinvorräte fassen können. [Anm. 14] Zwar waren Riesenfässer seit dem 16. Jahrhundert als Prestigeobjekte nichts Ungewöhnliches. [Anm. 15] Doch „Fass“ als Bezeichnung ist in diesem Fall eigentlich irreführend: Aus den Planskizzen des Landgrafen geht hervor, dass es sich eher um einen gemauerten Tank handelte, der mit Talg abgedichtet wurde. [Anm. 16] Diesen ließ Wilhelm in den Jahren 1586 bis 1589 im Großen Keller der Rheinfels errichten, der eigens dafür aufwendig vergrößert werden musste [Anm. 17] und so zum „größte[n] überwölbte[n] Raum einer mittelrheinischen Burg“ wurde [Anm. 18] . Der gewaltige Tank fasste wohl über 180.000 Liter [Anm. 19] und diente nun als Sammelbehälter für den lokal produzierten Wein, statt diesen wie bisher auf dem Kölner Markt zu verkaufen. [Anm. 20] Ein zentraler Vorteil dieser Lagerungsmethode war, dass durch die geringere Oberfläche im Vergleich zur herkömmlichen Fasslagerung weniger Wein durch Schwund verloren ging. [Anm. 21]
Damit verbunden war allerdings wohl einer der gewichtigsten Nachteile des „steinernen Fasses“: Das Zusammenschütten der Weine aus verschiedenen Lagen und Jahrgängen, sowie die Abdichtung aus Talg dürften sich möglicherweise negativ auf die Qualität des Weins ausgewirkt haben, auch wenn es dafür keine konkreten Hinweise gibt. [Anm. 22] Auch daran mag es wohl gelegen haben, dass das Fass nur eine Episode blieb – aus dem Inventar der Festung von 1647 geht jedenfalls hervor, dass bereits wieder normale Fässer zur Lagerung des Weins genutzt wurden. [Anm. 23]
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Urheberschaft
Autor: Christian Belzer
Redaktion: Simeon Guthier
Stand: 22.12.2021