Geschichte des Weinrechts
Weinfälschung und -schönung am Beispiel des Ingelheimer Alaun-Urteils
Schon in der Römerzeit war Wein nicht gleichbedeutend mit reinem Rebensaft: Da der gehandelte Wein in der Antike schnell sauer wurde und verdarb, verwendete man Honig oder gar Blei (den sogenannten „Bleizucker“, also Bleiacetat) zur Weinsüßung. Zudem streckte man den Wein häufig mit Wasser. [Anm. 1] Im privaten Konsum war das Vermengen mit Wasser nichts Ungewöhnliches - geschah es heimlich mit betrügerischer Absicht, so konnte es zu empfindlichen Strafen führen, wie Quellen des Mittelalters belegen. Insbesondere für den Hausgebrauch war es darüber hinaus üblich, Wein zu „heilen“ (also Weinfehler überdecken) bzw. zu „schönen“ (durch mitunter wertvolle Zutaten den Geschmack verbessern): Sogenannte "Gemächte" wie Senf, Nesseln, Asche, Milch, Salz, Eiweiß, Lehm, Branntwein aber auch glühende Eichenkohlen - um nur eine kleine Auswahl zu nennen - wurden dem Wein zugesetzt, um dessen Gärung zu beeinflussen, ihn haltbarer zu machen oder ganz einfach seinen Geschmack zu verbessern. [Anm. 2] Dies erfolgte entweder durch direktes Beimischen, wobei die Zugaben sich in der Trübhefe am Fassboden sammelten, oder mithilfe von Leinensäckchen. [Anm. 3] Spätestens ab dem 14. Jahrhundert setzte man zur Entkeimung des Weines zudem auf die Methode der Schwefelung. [Anm. 4]
Ein Ziel der Behandlung war regelmäßig das zusätzliche Süßen des Weines, wobei neben Honig, Rosinen, Süßholz oder anderen süßen Zugaben teilweise auch gesundheitsgefährdende Stoffe wie Bleizucker, Quecksilber, Salpeter oder Methylalkohol zugesetzt wurden. Zum Einsatz für verschiedene Zwecke, häufig zur Klärung und damit Verbesserung der Haltbarkeit, kamen auch Ingredienzen wie Brot, Speck, Wachs, Sand, Erde, eingelegtes Holz, gebranntes Glas, Tannenzapfen, Blütenblätter oder gar Laub. Zur Verbesserung der Weinfarbe verwendete man u. a. Holunderbeeren und Hopfen, aber auch roten Ziegelstaub. [Anm. 5] Überdies erfreuten sich bereits seit der Antike Kräuter- und Würzweine großer Beliebtheit: Weine wurden hierbei mithilfe verschiedener Kräuter oder Gewürze zusätzlich aromatisiert. [Anm. 6] Wir kennen vergleichbare Getränke heute noch als Glühwein, Fruchtbowle, Sangria und dergleichen mehr.
Solange der Wein mit all jenen Zutaten für den Hausgebrauch versetzt wurde oder die Zusätze beim Verkauf klar als solche deklariert wurden, sah man solche Weinschönungen im Mittelalter nicht unbedingt als deliktisch an. Von einer „Weinfälschung“ ging man vor allem dann aus, wenn Händler:innen oder Wirt:innen die Käufer:innen bzw. Konsument:innen über die Beimischungen bewusst im Unklaren ließen oder ihre Weine falsch deklarierten. So ein Vergehen wurde meist als Diebstahl oder Betrug aufgefasst. [Anm. 7] Allerdings war „Weinfälschung“ noch kein Tatbestand: Es existierte eine fließende, von unterschiedlichen örtlichen Regelungen abhängige Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem – zumal Weinzusätze noch oftmals schwierig nachzuweisen waren. [Anm. 8] Im Fokus standen dabei vor allem der Gesundheitsschutz sowie der Schutz vor Betrug bzw. Vermögensschädigung. [Anm. 9]
Auch die Bandbreite der strafrechtlichen Verfolgung von Weinfälschern war groß – vom Todesurteil bis hin zu Geldstrafen oder der Ausweisung aus der Stadt. [Anm. 10] Exemplarisch hierfür steht das „Alaun-Urteil“ des Ingelheimer Oberhofes vom 11. Dezember 1400, das sich mit einer Winzerin aus Kaub befasste, die in ihren Wein einen Alaun-Stein hineingehängt hatte. Das Mineral Alaun weist eine weinklärende und farbverstärkende Wirkung auf – nur in großen Mengen wirkt es gesundheitsschädlich. Ohne zuverlässige Methoden, um die Schädlichkeit einer bestimmten Substanz nachweisen zu können, überließ man das Urteil in diesem Fall Gott: Die Angeklagte musste ihren Wein selbst trinken - war er giftig, so erhielt sie ihre Strafe, war er unschädlich, so war sie frei. Der Ausgang dieses Urteilsspruchs ist nicht überliefert. Nach allem was sich chemisch schlussfolgern lässt, kam das Urteil wahrscheinlich einem Freispruch gleich. [Anm. 11]
Verordnung, Regulierung, Gesetz
Spätestens seit dem 13. Jahrhundert waren es vor allem städtische Verordnungen oder Weistümer, die das undeklarierte Panschen oder Verfälschen von Wein, etwa durch Beimischen („Verschnitt“) von minderwertigerem Rebsaft aber auch durch heimliche Zugabe von bestimmten Gemächten, sanktionierten. [Anm. 12] Ab dem Ende des 15. Jahrhunderts wurden vor dem Hintergrund einer gestiegenen Berichterstattung über Weinskandale zunehmend auch auf Reichebene Weinordnungen erlassen: Zu nennen sind hierbei vor allem die Weinordnung Kaiser Friedrichs II. von 1487 sowie dessen Neuauflage durch Kaiser Maximilian I. von 1498, die vor allem das Strecken und den Verschnitt von Wein verboten (die Verordnungen sind älter als das oft zitierte bayerische „Reinheitsgebot“ für Bier). [Anm. 13] Vor allem im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich vor dem Hintergrund der Kunstweinbereitung als Gegenbewegung das Ideal einer Naturreinheit von Wein. Naturbelassene Weine waren kein völlig neues Konzept, aber es offenbarte sich nun ein deutlich festzumachender gesellschaftlicher Wahrnehmungswandel, ab dem 20. Jahrhundert verbunden mit klaren juristischen Produktdefinitionen. Ermöglicht wurde die Entwicklung auch mit einer damit einhergehenden verbesserten chemische Nachweisbarkeit von Zusatzstoffen. [Anm. 14]
Im Deutschen Reich wurde 1892 und 1901 das erste umfassende deutsche Weingesetz erlassen, welches übermäßige Weinzusätze sowie die Weinstreckung verbot und die Weinzuckerung regulierte. 1909 wurde es erneuert und zu einer selbständigen Weingesetzgebung mit eigenen Strafbestimmungen zur Sanktionierung von unzulässigen Weinanreicherungen umgewandelt (weitere Überarbeitungen folgten 1930, 1969, 1971, 1994 und in absehbarer Zeit laut Entwurf aus dem Jahr 2020 erneut). [Anm. 15] In seiner reformierten Version von 1994 besteht es bis heute – ergänzt und flankiert durch EU-rechtliche Regelungen zum Verbraucherschutz und Lebensmittelrecht. [Anm. 16] Deutschlandweit einzigartig ist für Rheinland-Pfalz die Einrichtung einer seit 1965 bestehenden „Landeszentralstelle für Wein- und Lebensmittelstrafsachen“ mit Sitz in Bad Kreuznach. [Anm. 17]
Weitere Informationen
Urheberschaft
Autor: Felix Maskow
Redaktion: Felix Maskow und Simeon Guthier
Stand: 14.03.2023