Die Liebfrauenmilch aus Worms
"So süß wie die Milch unserer Lieben Frau"
Liebfrauenmilch und Markenbildung
Bereits im 17. Jahrhundert hatten die Wormser von ihrer Liebfrauenmilch geschwärmt, die ursprünglich in einem Weingarten bei der Liebfrauenkirche erzeugt wurde: Der Wein sei süßer als die Milch der Heiligen Jungfrau. Daraus war in Worms eine heute befremdlich wirkende Worterklärung entstanden, dass der Wein so süß sei wie die Milch unserer Lieben Frau. Die gerne angenommene Herkunft des Wortes „Milch“ von „Mönch“ (in Anlehnung an die ursprünglichen Weingärten des kirchennahen Klosters) ist sprachgeschichtlich fraglich. [Anm. 1]
Ein Exportschlager
Nach dem Ersten Weltkrieg hatte das jüdische Familienunternehmen Weinhandel H. Sichel & Söhne aus Mainz deutschen Wein und insbesondere die Liebfrauenmilch in den USA und in Großbritannien unter der Marke „Blue Nun“ vertrieben. Besonders in der Zwischenkriegszeit hatten jüdische Weinhänder:innen für die Reputation deutscher Weine gesorgt und den Lebensunterhalt der Winzer:innen gesichert. [Anm. 2]
Nach dem Zweiten Weltkrieg gewann die Liebfrauenmilch an Status und erlangte Preise. [Anm. 3] Der Exportschlager, der auch am britischen Hof Einzug hielt, stammte jedoch in immer größerem Umfang nicht nur aus Worms, sondern auch aus Gebieten in Rheinhessen, im Rheingau, in der Pfalz und an der Nahe. Der Erfolg animierte viele Winzer:innen, den damals nicht geschützten Namen für eigene Verkaufszwecke zu nutzen. [Anm. 4] Der Name Liebfrauenmilch war zum allgemeinen Marketing-Begriff für süße Weine aus den genannten Regionen geworden.
In der Nachkriegszeit entwickelte sich ein Trend hin zum süßlichen Wein. Die immer süßer werdenden Weine sollten nun auch für die aufsteigenden Gesellschaftsstände erschwinglich werden. Die Liebfrauenmilch, bedeutend und bekannt für ihre Süße, wurde zum Paradebeispiel der Weine, die massenweise zu kleinen Preisen vertrieben wurden. [Anm. 5] Der einstige Name Liebfrauenmilch war nicht mehr identifizierbar und versetzte kaum noch jemanden in Begeisterung.
Davon unbeeindruckt, konnte mit der Marke Blue Nun mit dem Etikett Liebfraumilch bis in die 1980er Jahre weltweite Bekanntheit und ein enormes Wachstum erreicht werden. Der Werbeslogan „Blue Nun Goes Everywhere“ vermittelte bis in die 1990er Jahre das Bild einer starken, erfolgreichen Marke. Dann erwarb das Weingut Langguth Erben die Marke und führt die Idee des ursprünglichen Gründers fort. [Anm. 6] Die Marke Blue Nun bzw. Liebfraumilch ist mittlerweile dem heutigen Geschmack und den Vorstellungen der Verbraucher angepasst. In jüngsten Jahren wurden zudem immer wieder Anstrengungen unternommen, um dem Begriff „Liebfrauenmilch“ sein ursprünglich hochwertiges Ansehen zurückzubringen, das im Laufe der letzten Jahrzehnte verloren ging.
Weiterführende Informationen
Urheberschaft
Autor: Christiane Gärtner
Redaktion: Simeon Guthier
Stand: 22.12.2021